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Gesellschaft   Kunst: Funktion und Rebellion
10.02.2010 von AliceWonderland

"Die Kunst ist eine intellektuelle Funktion, gesund, stark und wahr und nur eine andere Form der Denkfähigkeit. Sie ist kein Delirium, sondern eine Philosophie."
(Marianne von Werefkin (*1860), Briefe an einen Unbekannten)



Kunst ist Funktion

Was ist Kunst?

Kunst, muss die Antwort heute heißen, ist ein privilegiertes Debattenfeld der Aethernationen geworden. An Kunst wird gemessen, was eine Nation leisten kann. Der Diskurs über unsere Kunst ist zur Diskussion über unsere Identität geworden.

Und diskutiert wird überall – in den Feuilletons, den Universitäten und selbst den Arbeiterlokalen. Gesellschaftliche Debatten, so scheint es, werden heute mit Pinsel und Feder und auf den Bühnen der Nation ausgetragen.

Das hat sein Gutes: Nationaltheater und Konzerthallen sprießen an allen Ecken und Enden. Die verstaubten Theologica sind aus den Buchläden verschwunden und haben allerlei Belletristik, Nationalliteratur und wissenschaftlichen Wälzern Platz gemacht. Sie alle, so scheint mir, mühen sich, unsere Identität als Kulturnation mitzugestalten.

Was ist eine Kulturnation?

So fragen wir mit einem halb furchtvollen Blick auf die Kolonien. Und welche Macht gibt dieses fragile Wort uns über jene, die es nicht ihr eigen nennen können?

Vielleicht noch wichtiger für die Humanisten unter uns: Welche Verpflichtungen erlegt es uns ihnen gegenüber auf? Eine schwierige Frage, die wir mit unseren Nachbarn teilen – und alle nicht zu beantworten wissen.

(Aus „Was ist Kunst“ von Eduard Meyer)




Bohème

„Woran die Welt vielleicht immer Mangel gehabt hat, ist, was man eigentliche Individualitäten nennen kann, entschiedene Subjektivitäten, künstlerisch durchreflektierte, selbstdenkende, im Unterschied von schreienden und dozierenden. ”
(Søren Kierkegaard (1813-1844), dänischer Philosoph und Schriftsteller)



In Frankreich – wo auch sonst – hat die Kunst ein ganz besonderes Lebensgefühl hervorgebracht: Intellektuell, individuell, am Rand der Gesellschaft, von symbolischer Aggression gegen das System geschüttelt. Die Subkultur namens Bohème.

Sie ist keine ästhetische oder kritische Kategorie, sondern eine soziale: eine Künstlergemeinschaft, die ihr gegenbürgerliches Ideal in künstlerischer Form zum Ausdruck bringt. Maler, Dichter, Literaten aber Studenten, Söhne und Töchter guter bürgerlicher Häuser, lösen sich von ihrem alten Leben und werden zu Bohèmiens.

Selbstverwirklichung, Authentizität, Eigenständigkeit, Identitätsfindung sind die Stichwörter, die zu einem ursprünglicheren Leben jenseits bürgerlicher Entfremdung führen sollen. Oder Auflehnung und Trotz, wie die Eltern solcher brotlosen Künstler behaupten, die in Vorfolgung ihres Schaffens selbst dem Hungertod trotzen.

Von der Avantgarde grenzen sich die Bohèmiens dadurch ab, dass sie nicht notwendigerweise in ihrer Kunst gegen die Norman unserer Gesellschaft verstoßen – sondern vor allem in ihrem Lebensstil. Individualismus, manchmal gar Libertinismus, bis zum selbstzerstörerischen Extrem ist ihr Credo. Ihre Aggression gegen das System äußert sich in Kleidung, Auftreten, Lebensführung und Moral. Ihre Öffentlichkeit dafür sind die Cafés, Kabaretts und anderen Orte, wo sich die Allgemeinheit zusammenfindet.

(Aus „Rebellion der Sinne“ von Eduard Meyer)


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