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Gesellschaft   Duelle - Auf Ehre und Tod
21.01.2010 von AliceWonderland

"Die bürgerliche Reitpeitsche droht Degen und Pistole des Ehrenmannes nach und nach zu verdrängen, zum Schaden der zivilisierten Gesellschaft."
(Henning von Treschke, preussischer Historiker, 1884)



Als ich so alt war wie Du heute, meine Junge, bedeutete ein Duell noch etwas ganz anderes. Damals waren die Regeln so klar wie der Sommerhimmel. Ein freiwilliger Zweikampf mit gleichen, tödlichen Waffen, der zur Bereinigung einer Ehrenstreitigkeit ausgefochten wurde. Seit dreihundert Jahren werden Duelle ausgefochten, aber die Regeln haben sich noch nie so rasant verändert wie in den letzten drei Jahrzehnten.

Siehst Du, damals bedeutete Ehre noch etwas anderes. Und ein Duell bedeutete, Satisfaktion für eine Beleidigung zu geben – oder zu erhalten. Wer siegte, war gleichgültig. Es ging nur darum, seine Bereitschaft zu beweisen, die persönliche Ehre auch auf die Gefahr von Verletzung und Tod hin wieder herzustellen. Zumindest bei einer schweren Beleidigung war ein Duell unvermeidlich. Aber wenn die Waffen schwiegen, dann galten alle Beleidigungen als gesühnt und alle Beteiligten als Ehrenmänner.

Man sollte aber nicht vergessen, dass damals auch nicht Hinz und Kunz satisfaktionsfähig war. Nur Adlige, Offiziere – die ja nun auch adelig waren – und Studenten – die es meist waren – hatten das Recht, sich zu schlagen. Das war noch Standesdenken. Wir haben alle geglaubt, dass wir uns von denen unten unterscheiden dadurch, dass wir uns selbst schützen können. Haben uns etwas darauf eingebildet, Waffen zu tragen.

Tja. Und dann fing das mit den Industriellen an, und dem ganzen Großbürgertum. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend ich war, als mich zum ersten Mal ein Bürgerlicher gefordert hat. Aber was soll man machen? Satisfaktionsfähig ist jetzt, wer als solches betrachtet wird. Und wer wird einem Mann, der mehr Land besitzt als der Großherzog, das Recht auf Ehre abstreiten? Wie immer sind hier Geld und Macht ausschlaggebend. Und natürlich der Ruf, oder der Mangel daran.

Als ich jung war, da wurde ein Offizier entlassen, wenn er ein einziges Duell verweigerte. Heute kann es ihm kaum jemand verdenken, zumindest, wenn es nicht zu oft passiert. Aber da haben sich Offiziere auch noch mit Pistolen duelliert, die Studenten mit Säbeln. Wenn Du mich fragst, fing der Niedergang mit den Strahlenwaffen an. Früher starb vielleicht einer in einem Dutzend Duelle. Dann starb auf einmal in jedem Duell einer. Oder beide, wenn es schlecht ausging. Da wurden die Herren schon vorsichtiger, und der Kaiser hatte es auch leid, jeden Tag gute Männer zu verlieren.

Deshalb wurden die Ehrengerichte offiziell gemacht. Wir fanden es empörend, dass auf einmal so ein Rat von Möchtegerns entscheiden sollte, wann unsere Ehre schwer genug angegriffen war, um sie verteidigen zu dürfen. Aber wenigstens regulierten die Gerichte die Waffen, und es gab weniger Tote. Ich hörte, in Frankreich haben sie das schon früher eingeführt – als irgend so ein berühmter Mathematiker getötet wurde und das Ganze sie jahrelang in der Differenzmaschinenforschung zurückgeworfen hat. Galois oder so ähnlich hieß er.

Einfacher ist es deswegen nicht geworden. Sicher, wenn Du beleidigt wurdest, hast du 24 Stunden Zeit, Dich bei einem Ehrengericht zu melden und ein offizielles Duell zu fordern. Der Adel wird auch schlecht von Dir denken, wenn Du es nicht tust – von den Offizieren ganz zu schweigen. Auch wenn diese Heuchler genauso oft wie nicht nur noch den Schein wahren und mit Absicht daneben schießen. Was soll das denn noch für eine Ehre sein?

Viel gefährlicher ist es, wenn jemand Dich außerhalb der Regeln fordert. Der Marquis behauptet, die Hälfte aller Duelle wird ohne Erlaubnis ausgefochten. Und da könnte er schon Recht haben. Die duellieren sich im Morgengrauen, wo niemand sie sehen kann. Sogar mit Strahlenwaffen, habe ich gehört. Und manchmal sogar ihre Frauen!

Heute glaubt jeder, der eine Waffe hat, sich duellieren zu können – und mal ehrlich, seit die Konstrukteure solches Ansehen genießen und das Geld in Strömen die soziale Leiter nach unten fließt, hat jeder eine Waffe. Es heißt sogar, die Herren Ingenieure und Erfinder duellieren sich darum, wer die bessere Todesmaschine erfunden hat. Mit unserer Ehre von damals hat das kaum noch was zu tun.

Und daran wird sich auch nichts ändern, solange das Verbot für illegale Duelle nicht härter durchgesetzt wird. Was im Reichsgesetzbuch steht ist herzlich egal, solange kaum jemand bestraft wird – und wenn nur mit ein paar Jahren Haft, selbst wenn jemanden zu Tode kam. Wo das noch hinführen soll, kann ich Dir wirklich nicht sagen.

Aber da Du mit deinem Namen auch heute noch kaum ein Duell ablehnen kannst, will ich Dir einen Rat mit auf den Weg geben: Duelliere Dich nur mit Deinesgleichen, gehe nie am Ehrengericht vorbei, nimm Dir einen vertrauenswürdigen Sekundanten und bestehe auf einen Arzt. Lass Dich nicht auf exotische Waffen ein, bei einem offiziellen Duell müssen beide der Waffenwahl zustimmen. Auf die Zahl der Waffengänge und die Entfernung hast Du nicht viel Einfluss, das macht das Ehrengericht von der Schwere der Beleidigung abhängig. Aber wenn Du glaubst, dass sie bestechlich sind und es dein Leben retten kann, zögere nicht.

Und zu guter Letzt: Viel Glück, mein Sohn.

Dein Vater

Graf Fjodor Iwanowitsch Tolstoi

(Auszug aus einem Brief von Graf Fjodor Iwanowitsch Tolstoi an seinen Adoptivsohn Pjotr, 1846)


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