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Introductio   Die Ingenieurin
12.01.2010 von AliceWonderland

"Die verrückte, sündhafte Narretei der Frauenrechte mit all ihren abscheulichen Begleitumständen muss mit aller Kraft eingedämmt werden."
(Königin Victoria von England)


Zögerlich betrat Freiherr Oswald von Richthofen die Werkstatt des bescheidenen Stadthauses. Er hatte gehofft, sein Anliegen bei einer Tasse Tee und Gebäck im Salon besprechen zu können, aber der fast schon beleidigend kurz angebundene Hausdiener hatte ihn schnurstracks in diesen mechanischen Albtraum entführt. Überall Werkbänke voll unverständlicher Utensilien, winziger Zahnräder und gigantischer Glaskonstruktionen, deren Zweck er sich nicht im Entferntesten ausmalen konnte. Je schneller er hier herauskam desto besser. Der Freiherr räusperte sich höflich aber bestimmt, um die Aufmerksamkeit des Ingenieurs auf sich zu ziehen. Im höllischen Kreischen des Schweißgerätes war diesem die Ankunft seines Besuchers scheinbar entgangen, doch auf ein erneutes Räuspern hin drehte er sich um.

Der Freiherr war dankbar für die Sekunden, die der Ingenieur benötigte, seine schwere Schutzmaske abzusetzen. Er brauchte die Zeit bitterlich, um seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, denn unter der schweren Lederschürze machte er die blonde zierliche Gestalt einer Frau aus.

„Baron.“

Sie nickte ihm zu und streifte ihre mit Brandflecken übersäten Handschuhe ab. Sie machte keine Anstalten zu knicksen, aber wenigstens versuchte sie auch nicht, ihm die Hand zu schütteln.

„Ich höre Sie haben ein Anliegen.
Womit kann ich Ihnen weiterhelfen?“

Unter der Schürze kam ein einfaches Kleid zum Vorschein, auf dem man trotz des dunklen Baumwollstoffs Rußflecken und Ölschmieren erahnen konnte. Der Freiherr wurde sich bewusst, dass er starrte und hob den Blick rasch zu ihren Augen. Blaue Augen in einem passablen Gesicht, das noch nicht zu alt wirkte, um jugendlichen Reiz zu haben. Er räusperte sich nervös.

„Tatsächlich komme ich mit einem bedeutenden Anliegen, Frau … entschuldigen Sie vielmals, Ihr Name muss mir entgangen sein.“

Sie lächelte, halb amüsiert, halb bitter.

„Ich bin Dr. Erzberger, Baron.“

Er unterdrückte ein Stirnrunzeln. Niemand hatte ihm gesagt, dass dieser berühmte Ingenieur eine Frau war. Er konnte sich gut vorstellen, wie sich die Halunken in dieser Sekunde über ihn amüsierten. Vielleicht hatten sie die ganze Sache sogar inszeniert. Beim näheren Hinsehen meinte er, diese schmalen Gesichtszüge, die Mandelform der Augen schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Er musste sicher gehen, etwas anderes konnte er sich nicht leisten.

„Ah, Verzeihung. Ich bin davon ausgegangen, dass Ihr Mann…“

Der Freiherr ließ den Satz unbeendet und hoffte, dass sie nicht unhöflich genug war, ihn in der Luft hängen zu lassen.

„Ich habe keinen Mann, Baron, ich bin der einzige Doktor Erzberger, den Sie hier finden werden.“

Ihr Tonfall war härter geworden, und sie verkrampfte unwillkürlich die schmalen, mit Schwielen bedeckten Hände ineinander. Und mit einem Mal erinnerte er sich daran, wo er diese trotzige Geste schon einmal gesehen hatte. Seine Augen weiteten sich verräterisch, aber er konnte nichts dagegen tun, dass er wie ein Schuljunge seine Manieren vergaß und herausplatzte: „Erzberger? Die Erzbergers? Sie sind die…“

„Wer ich war spielt keine Rolle, Baron,“ unterbrach sie ihn scharf, „heute bin ich Dr. Erzberger. Und wenn Sie die Dienste des besten Ingenieurs der Stadt zu haben gedenken, dann rate ich Ihnen, das zu respektieren.“

Er wies sie nicht für Ihre Frechheit zurecht, auch wenn es ihn jedes Quentchen seiner Selbstkontrolle kostete. Die Wünsche des Reichskanzlers hatten nun einmal Vorrang. Auch wenn es ihm wie blinder Wahnsinn erschien, eine solch wichtige Aufgabe dem schwachen Geschlecht anzuvertrauen. Also konzentrierte sich der Freiherr darauf, den Auftrag zu beschreiben – einen Auftrag, der zu sensibel war, um ihn in die Hände eines Boten zu geben. Dr. Erzberger machte sich unleserliche Notizen mit einem Füller, den sie nicht in Tinte tauchen musste. Sie sprachen über die Entlohnung – eine fürstliche Entlohnung, der Löwenanteil der Summe für ihr Schweigen – und schließlich nickte sie. Erleichtert verabschiedete er sich. Aber bevor der Freiherr aus der unordentlichen Werkstatt trat, überwältigte ihn die Neugier, und er drehte sich noch einmal um.

„Sie hätten ein bequemes Leben haben können. Reichtum, einen standesgemäßen Ehemann, Kinder. Warum sind Sie für diesen Bruchteil des Erbes, das Sie hätten haben können, bereit, sich in internationale Politik zu verwickeln und ihr Leben zu riskieren?“

Sie schien überrascht von der Frage, aber er konnte nicht sagen, ob sie lediglich nicht damit gerechnet hatte, dass er fragte oder ob sie sich diese Frage einfach noch nie gestellt hatte. Nach einer schier endlosen Sekunde antwortete sie.

„Kinder aus Fleisch und Blut sind nicht der einzige Weg, die Zukunft mitzugestalten, Baron. Und ob ich das tödliche Risiko beim Gebären oder beim Konstruieren eingehe, sollten Sie mir überlassen. Die Zeiten, als eine Frau nur zu einem gut war, sind vorbei.“

Sie lächelte verschmitzt.

„Sonst hätte der Kanzler Sie wohl kaum zu mir geschickt.“

Der Baron nickte knapp und trat aus der Tür. Auf dem Heimweg versuchte er, die gerechte Empörung in seiner Brust zu bezwingen. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich alt. Aber nicht so alt, als dass er nicht darüber nachgedacht hätte, wie er dieser unverschämten Frau Herr werden konnte.


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