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Enzyklopädie   Frankreich
05.04.2010 von AliceWonderland

"Wenn man in Paris Frau gewesen ist, kann man es nirgendwo anders sein.
(Charles de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu)

"Chaque homme de culture a deux patries: la sienne – et la France."
"Jeder Mensch von Kultur hat zwei Vaterländer: das seine – und Frankreich."
(Thomas Jefferson (1743-1826), dritter Präsident der USA
)



Paris. Ich liebe diese Stadt.

Keine Andere hat es bisher geschafft, mich so in ihren Bann zu ziehen, wie Paris es getan hat.
Schon dieses fulminante Bauwerk, das bald das Stadtbild prägen wird, la tour Eiffel, ist für sich schon eine Reise wert. Doch gibt es so viel mehr, was Paris so einzigartig macht.

L’Arc de Triomphe, die Bibliothek Sainte-Geneviève, Der Obelisk von Luxor, der der Stadt einen ganz eigenen Flair verleiht, aber auch das Moulin Rouge oder Montmartre… Es gibt so viel zu sehen, zu erleben, zu spüren in dieser Stadt.
Ich habe in ganz Europa keine eleganteren Luftschiffe gesehen als hier. Und die Art und Weise, wie sich selbst Luftschiffkapitäne oder Mechaniker kleiden, grenzt an eine ganz eigene Art von Ästhetik und Stil. Man trägt seine Kleidung mit Stolz.
Überhaupt habe ich den Eindruck, dass Paris in Sachen Kleidung und Mode Europa den Stil diktiert. Nirgends sonst sieht man einen neuen Stil, der von den Damen auf den Straßen, in den Cafés oder auf den Luftschiffen präsentiert wird und der in Windeseile über den ganzen Kontinent schwappt. Neue Stoffe, Muster, Accessoires… Wo sonst sieht man eine solche Vielfalt, wenn nicht hier?
Tagsüber sind die Straßen gesäumt mit Bäumen und die feinen und edlen Damen und Herren flanieren in den so sorgfältig und anmutig gestalteten Parks. Jeder Bürger oder Besucher spürt den Stolz dieser Stadt, mit dem sie sich dem Rest der Welt präsentiert. Doch merkt man ihr keineswegs eine Arroganz dabei an. Im Gegenteil! So natürlich, als wäre es nie anders gewesen, strahlt diese Stadt als Herz Europas in die Welt.

Des Nachts kann man dieses Strahlen dann noch mehr bewundern. Neigt sich die Sonne hinter dem Horizont, funkeln tausende und abertausende von Lichtern in dieser Stadt. Wie ein Diamant leuchtet sie in der Nacht und die schönen Worte, die man tagsüber für sie fand, straft sie Lügen, denn des Nachts überstrahlt die Schönheit alles übrige.
Musik, Kunst und Kultur sind in Paris groß geschrieben. Sie werden nicht nur angesehen oder erlebt, sie werden gelebt. Mit jeder Faser des Körpers. So auch im vielleicht berühmtesten aller Nachtetablissements der Welt, im Moulin Rouge. Nie habe ich Damen anmutiger tanzen sehen und nie habe ich mehr geglaubt, dass sie lieben, was sie tun.
Mit dem Tanz führen die Damen uns in eine andere, völlig unbekannte und neue Welt. Es ist wie im Märchen und man wünscht sich, nie wieder daraus zu erwachen.

So bricht es mir jedes Mal das Herz, wenn ich diese Stadt verlassen muss und die Sehnsucht packt mich jedes Mal erneut, wenn mein Weg mich von ihr wegführt. Jedoch ist so die Vorfreude mit jedem Mal, das mich nach Paris zurück führt, größer.





Um Frankreich zu verstehen, bedarf es einer profunden Kenntnis geschichtlicher Zusammenhänge und Entwicklungen – und natürlich eines gewissen Libertinismus des Geistes. Weder die zahnradgetriebene Strenge der Deutschen noch die kulturelle Arroganz des viktorianischen Inselvölkchens bringen Sie hier weiter, meine Damen und Herren. Savoir vivre lautet unser Zauberwort!

Die Geschichte werden Sie alle kennen: Heute ist der Sturm auf die Bastille und damit der Niedergang des Absolutismus in Frankreich auf den Tag genau 100 Jahre her. Die Folgen der Revolution – die Erste Republik, die mit so großen Idealen begann und mit so vielen Schrecken endete – ist uns kaum mehr als ein ferner Traum oder Albtraum.

Wir haben viele Wirren und noch mehr Leid überstanden: Den selbsternannten Kaiser Napoléon und seine legendäre Niederlage bei Waterloo. Die Bourbonenherrschaft, die 1830 in der Julirevolution und der Machtübernahme durch den Bürgerkönig Louis-Philippes gipfelte. Die erneute Revolution 1848. Die zweite Republik, deren Präsident Napoléon III das zweite Kaiserreich erzwang, bevor er schließlich 1870 im Deutsch-Französischen Krieg unterlag und in preußische Gefangenschaft geriet. Den Schrecken der Pariser Kommune, der Massenexekutionen unter den Arbeitern des Landes und des Straßenkampfes nackter Anarchie.

Kaum ein anderes Land Europas kann auf eine so aufgewühlte Geschichte, einen so blutigen Prozess der Selbstfindung zurückschauen wie unsere Nation. Doch wozu all diese Aufregung? Die Antwort lautet natürlich: Für die Dritte Republik.

Es ist wahr, Bismarck macht uns das Leben schwer, drängt uns in die außenpolitische Isolation, derweil im Landesinneren der Kampf gegen das Machtstreben der katholischen Kirche tobt. Wir brennen unsere Präsidenten schneller aus als unsere Dampfzüge Kohle verzehren. Krisen, Skandale, Konflikte und Korruption erschüttern nach wie vor die Nation. Was also ist der Verdienst der Dritten Republik?

Meine Antwort ist: Freiheit, und so viel Gleichheit und Brüderlichkeit wie wir eben aufzubringen im Stande sind.

Unser Präsident Marie François Sadi Carnot ist genau das: ein Präsident. Er hat keinen Herrschaftsanspruch und wird sich ebenso leicht wieder ersetzen lassen wie seine Vorgänger, wenn er dem gemeinen Manne nicht mehr genehm ist. Die Assemblée Nationale wacht wie ein Zerberus des Volkes darüber, dass er sich nicht über die engen Grenzen seiner Befugnisse bewegt. Bisher scheint er dem Abgeordnetenhaus und dem Senat ein treuer Diener – weshalb zu hoffen wäre, dass er als erster Vertreter seiner Art tatsächlich die volle Amtszeit von sieben Jahren überstehen kann. Das heißt, wenn er sich aus diesem Panamaskandal nicht selbst einen Strick dreht.

Doch das ist nicht unsere einzige Freiheit: Die französischen Unterklassen sind hoch politisch, und werden dafür nicht nachts in finstere Verließe verschleppt. Die französischen Künstler sind schöpferischer als anderswo, denn die Wiege der Bohème liegt in Paris. Die Frauen zeigen mehr Haut, und zugleich mehr Verstand als in unseren Nachbarsländern. Die Erfinder denken größer – über den engen Rahmen der bloßen Technik hinaus in die höhere Sphäre der Ästhetik. Das alles dieweil der verbliebene Adel versucht, in dekadenten Feierlichkeiten den Schwund der eigenen Bedeutung zu ersäufen.

Jetzt gilt es nur noch, diese Kraft der Freiheit, des schrankenlosen Denkens frei von Prüderie und blindem Obrigkeitsgehorsam, zu kanalisieren. Wenn uns dies gelingt, dann haben die blutigen Wirren der Vergangenheit ein Ende gefunden. Dann wissen wir endlich, wer wir sind, und dieses Wissen wird uns nicht nur zu einer starken, erneuerten Nation zusammenschweißen, sondern auch unsere Position in Europa und den Kolonien ausbauen und festigen.

(Rede des Politikers Jean Mordaut anlässlich des Jahrestages des Sturms auf die Bastille, 1889)


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